Ich war selber keine schlechte Schülerin, aber die ein oder andere Fünf hatte ich dann doch in meiner Schullaufbahn. Mir ging es damit immer schlecht. Ich habe mich schuldig gefühlt. Bei der nächsten Klassenarbeit hat es dann eher dazu geführt, meine Nervosität zu verstärken als die Motivation zu heben.
Schulnoten gehören dazu
Trotzdem ist das Konzept der Bewertung durch Noten fest in unseren Köpfen verankert. Wir kennen es ja nicht anders. Die meisten von uns sind als Kinder in eine Schule gegangen, in der es Noten gibt. Und auch heute besuchen mehr als 90% der Kinder Schulen, in denen selbstverständlich jeder durch Noten bewertet wird. Darf ein Konzept, das so selbstverständlich ist, überhaupt angezweifelt werden? Es darf! Ich möchte sogar weitergehen und sagen, es gehört auf den Prüfstand. Es gibt immer mehr Wissenschaftler, die schon heute der Meinung sind, dass Schulnoten kreatives Lernen eher behindern als fördern. Dazu zählt unter anderem der Neurowissenschaftler Gerald Hüther. Auch Arno Stern, der Gründer der Malorte, sieht einen Zusammenhang zwischen mangelnder Kreativität und Bewertung der Leistungen.
Fortschritte werden möglich, wenn Bewertung aufhört
In der Arbeit mit Kindern, die z.B. an Legasthenie oder Dyskalkulie leiden, habe ich die Erfahrung gemacht, dass oft erst der Wegfall der Bewertung eine Steigerung der Leistung möglich machte. Wenn die Kinder erkennen, dass ihr Wert nicht von ihrer Lese-, Schreib- oder Rechenfähigkeit abhängt, gehen auf einmal Dinge, die niemand erwartet hat. Beispielhaft für das Lernen ohne Noten möchte ich heute das Lernen in einer Montessori Schule vorstellen. Ich habe dazu die Schulleiterin der Montessori Schule Neu-Ulm interviewt.
Hilf mir es selbst zu tun!
Dieses berühmte Zitat von Maria Montessori ist meine erste Frage an Nicola Köstner. Sie beschreibt in ihrer Antwort, was diese Aussage für Montessori Kinder im Alltag bedeutet.
„Zu Beginn werden den Kindern zunächst einmal die Materialien vorgestellt, mit denen sie arbeiten können. Die Kinder sind sehr neugierig und lassen sich von den Lehrkräften erklären, wie man mit dem Material arbeiten kann. Schnell wollen sie es dann aber auch selber versuchen und schicken die Lehrer weg, immer in der Gewissheit jederzeit fragen zu können. Auch gibt das Montessori Material immer die Möglichkeit, dass die Kinder sich selber kontrollieren können. Das hilft ihnen, ihre Leistungen realistisch einzuschätzen.“
Selbstbestimmtes Lernen
„Die Art des Lernens in der Montessori Schule gibt den Kindern die Möglichkeit zu beeinflussen, was sie lernen und in welcher Reihenfolge sie es lernen. So machen sie die Erfahrung, dass sie beim eigenen Lernprozess im Mittelpunkt stehen und dass ihre Meinung etwas zählt. Das gibt den Kindern einen großen Motivationsschub.“
Für mich hört sich das toll an. Trotzdem frage ich Frau Köstner, ob die Kinder denn da so mitziehen, wenn es keine Noten gibt. Auf diese Frage bekomme ich eine erstaunliche Antwort: „Es sind nicht die Kinder, die sich schwer tun, sondern eher die Eltern. Da in der Montessori Schule vieles anders ist als die Eltern es aus eigener Erfahrung kennen, müssen sie sich ein wenig eingewöhnen. Dafür gibt es aber in der Montessori Schule Neu-Ulm Infoabende, eine kleine Montessori Bibliothek und die Möglichkeit den Unterricht anzuschauen – Schule live auch für Eltern.“
Anders ist es laut Nicola Köstner, wenn Kinder nach vier Jahren Regelschule in die Montessori Schule wechseln. Diese Kinder brauchen manchmal ein wenig länger, bis sie sich so richtig trauen, die Verantwortung fürs eigene Lernen zu übernehmen. Aber auch hier gelingt die Anpassung in der Regel nach einigen Wochen.
Die eigene Leistung einschätzen lernen
Allerdings gibt es auch in einer Montessori Schule einen Lehrplan, der sich an dem des jeweiligen Bundeslandes orientiert. In Neu-Ulm ist das der bayrische Lehrplan. Eltern haben gelegentlich die Befürchtung, dass ihre Kinder ohne Schulnoten vielleicht gar nichts lernen. Aber natürlich wird auch in einer Montessori Schule darauf geachtet, dass die Lernziele erreicht werden. Jedoch übernehmen die Kinder hierfür die Verantwortung. Das lasse ich mir am Beispiel der Satzglieder erklären.
„Wenn das Kind eine längere Zeit mit einem Material, z.B. zu den Satzgliedern, gearbeitet hat, kann es auf die Lehrkraft zukommen oder umgekehrt und der Leistungsstand wird gemeinsam eingeschätzt. Grundlage ist dabei die Beobachtung des Kindes in der Freiarbeit oder auch eine „Darbietung“, bei der das Kind zeigt, wie gut es mit dem Material oder einem passenden Test umgehen kann. Zeigen sich bei dem Thema Lücken, kann das Kind es weiter vertiefen und sich später noch einmal testen lassen. Der Ansatz ist klar. Es geht darum, dass das Kind den Stoff wirklich verstanden und angewandt hat. Die Kinder lernen durch diese Vorgehensweise auch, sich selber realistisch einzuschätzen.“
Lernen funktioniert auch ohne Schulnoten
Die Aussagen von Nicola Köstner decken sich mit meinen Erfahrungen aus vielen Jahren Lerntherapie. Schulnoten und Leistungsdruck sind in der Regel nicht förderlich für Kinder und ihre Lernmotivation. Zu diesen Erkenntnissen kommt auch die moderne Hirnforschung. Schöne Einblicke zu diesem Thema gibt auch der Film Alphabet. Ich würde mir wünschen, dass das Thema Schulnoten auch in der Regelschule auf den Prüfstand kommt und das Ziel eines gelungenen Unterrichts nicht ein sehr gut unter einer Klassenarbeit ist, sondern zufriedene Kinder, die das leisten, was ihnen möglich ist und dabei Spaß und Freude empfinden. Dann wird auch das heute so vehement eingeforderte lebenslange Lernen für unsere Kinder selbstverständlich werden.
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